Essener Tafel mit rassistischen Ausschlüssen – die Oldenburger Tafel reagiert ambivalent. Ein Kommentar.

Großes Aufsehen erregte Anfang des Jahres die Entscheidung der Tafel in Essen (NRW), nur noch Menschen mit deutschem Pass neu in die Nahrungsmittelverteilung aufzunehmen. Zu Recht wurde diese Entscheidung kritisiert, bringt sie doch Bedürftige mit unterschiedlichen Ausweisen gegeneinander in Stellung und sortiert nicht nach Bedarf, sondern nach Herkunft. Das ist rassistisch und muss auch so benannt werden. Soziale Konflikte rassistisch zu beantworten, halten wir gerade in Zeiten eines nationalistischen Rollbacks für sehr gefährlich. Hier wünschen wir uns deutliche Distanzierungen anderer sozialer Einrichtungen. Die Oldenburger Tafel machte auch schnell und eindeutig deutlich, dass sie das Essener Vorgehen nicht mitträgt und auch nicht toleriert, allerdings nicht ohne die Tafel aus NRW in Schutz zu nehmen.


Mehr Geflüchtete, mehr Probleme?
Bild: Screenshot Facebook

Wir sind der Meinung, dass die Arbeit der Tafeln und anderer sozialer Einrichtungen gar nicht hoch genug geschätzt werden kann, hätten uns hier allerdings eine deutlichere Distanzierung gewünscht. Nichts desto trotz gilt unsere Solidarität natürlich allen Bedürftigen, egal woher sie kommen, ebenso wie den sozialen Einrichtungen, die täglich diesen Menschen mit viel Engagement und Empathie begegnen. Vielleicht erleben wir ja irgendwann eine Gesellschaft, die keine Armut und Ausgrenzung mehr produziert.

Ein solidarisches Zusammenleben ohne Armut und Ausgrenzung wird es im Kapitalismus jedoch nicht geben. So sehr wir auch das Engagement der Helfer*innen schätzen, sehen wir dennoch kritikwürdige Punkte an der Beschaffenheit der Tafeln. Diese Form der Hilfe ist in unseren Augen auf unterschiedlichen Ebenen problematisch. Einerseits gibt es Berichte darüber, dass Menschen sich bei dem Besuch der Tafel gedemütigt fühlen, sei es durch das Personal oder durch die Beweispflicht der eigenen Bedürftigkeit. Durch den Status als Bittsteller, welcher auf die Mildtätigkeit der Tafel angewiesen ist, entsteht ein hierarchisches Verhältnis, was zu eben solchen Verwerfungen führen kann und weder den Helfer*innen, noch den Menschen, welche auf die Tafel angewiesen sind, gerecht wird. Hieran knüpft letztlich die Frage an, warum Menschen überhaupt auf die Tafeln angewiesen sind. Schließlich sollen ja die sozialstaatlichen Leistungen, den Ansprüchen der bürgerlichen Gesellschaft zufolge, zum Leben reichen. Dass sie das nicht tun, zeigen u. a. die steigende Nutzer*innenzahlen der Tafeln. Der Sozialstaat wird daher auch durch die Tafeln von seinen Aufgaben entlastet, Grundrechte privatisiert und auf die Mildtätigkeit von Unternehmen und Helfer*innen verschoben. Unternehmen, welche ihre abgelaufenen Lebensmittel sonst entsorgen müssten, können sich in einem solchen System als Wohltäter*innen inszenieren.

Eine Kritik, welche an diesen Punkt aufhört, bleibt jedoch zwingend reformistisch. Eine Kritik, welche jedoch einen Bruch mit dieser Armut und Ausgrenzung produzierenden Gesellschaft vollziehen will, muss daher die kapitalistische Produktionsweise analysieren. Durch dem Kapitalismus inhärente Krisen und einen globalen Wettbewerb müssen die in der Nationalökonomie beheimateten Lohnarbeiter*innen konkurrenzfähig bleiben. Da die Steuereinnahmen eines Staates seine Existenz garantieren, ist die Disziplinierung der eigenen Staatsbürger*innen für den globalen Wettbewerb es­sen­zi­ell. Niedrige Löhne, welche ein Standortvorteil im globalen Wettbewerb sind, lassen sich mit einem schwachen Sozialstaat besser durchsetzen, als wenn dieser umfangreiche Leistungen garantiert. Ein schwacher Sozialstaat kann Lohnarbeiter*innen in klassenkämpferischen Auseinandersetzungen disziplinieren. Schließlich ist der soziale Abstieg eines*r Lohnarbeiter*in so wesentlich ausgeprägter, da bei Verlust des Arbeitsplatzes, der soziale Status nicht gehalten werden kann. Dennoch ist auch der Sozialstaat, so ausgeprägt er auch sein mag, ein Instrument, um einen sozialen Frieden herzustellen, obwohl er für den Zustand dessen, was die Herstellung eines sozialen Friedens notwendig macht, mit verantwortlich ist. Schließlich garantiert er das Privateigentum an Produktionsmitteln. In diesem Konkurrenzsystem sind die Lohnabhängigen gefangen und das nicht ohne Folgen: Sie werden vereinzelt und getrennt, weil alle in Konkurrenz zueinander stehen.

Was bedeutet diese Analyse für die Tafeln?

Den Menschen, welche sich nicht in diesem gnadenlosen Konkurrenzsystem behaupten konnten, wird nicht einmal ein menschenwürdiges Leben garantiert. Stattdessen sind sie auf die Güte von Unternehmen und Helfer*innen bei der Tafel angewiesen. Jegliche Erfahrung eines Zusammengehörigkeitsgefühls aufgrund der gemeinsamen prekären Situation wird verunmöglicht, in den langen Schlangen vor den Tafeln. Schließlich stehen diese Menschen dort miteinander in Konkurrenz um die entsorgten Lebensmittel. Dieses Konkurrenzverhältnis, gepaart mit rassistischen Vorurteilen, kann ein Erklärungsansatz sein für die Verhältnisse an der Essener Tafel. Für den Staat sind die Tafeln ein ebenso wichtiger Aspekt: Durch die Senkung der Sozialstaatsausgaben, ist er im globalen Wettbewerb konkurrenzfähiger. Diese Kritik soll sich daher auch nicht an den solidarischen Helfer*innen an den Tafeln richten, sondern aufzeigen, dass eine Diskussion über das System der Tafeln ohne die Rückführung auf die kapitalistischen Verhältnisse in Ideologie mündet.

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