Hinter den Kulissen – eine Bestandsaufnahme der AfD-Kandidaten zur Landtagswahl 2022

Am 09. Oktober wird in Niedersachsen gewählt. In der parteipolitischen gespaltenen  Rechten – verschwörungsideologisch in Form der „Basis“ und katholisch ausgerichtet in Form der „Zentrumspartei“ (ohne zugelassene Landesliste) – gilt als einzige aussichtsreiche Partei die neofaschistische AfD. Daher wollen wir uns in diesem Artikel mit den Kandidaten im nordwestlichen Niedersachsen der AfD auseinandersetzen. 

Wahlkreise 62/ 63 – Oldenburg Mitte-Süd / Nord-West

Die Wahlkreise 62 und 63 Oldenburg verbleiben ohne Direktkandidaten. In der hiesigen Lokalzeitung NWZ beschwert sich der Kreisvorsitzende Andreas Paul: „Die AfD wird gerade im Oldenburger Raum sehr stark angefeindet und es finden Repressalien gegen AfD-Mitglieder sowie Sympathisanten statt.“ Außerdem beklagt er ein „Klima des Hasses“. Dass jemand aus einer Partei, deren Kernkompetenz menschenfeindliche Hetze – von Misogynie, Rassismus, Antisemitismus bis hin zu Antiziganismus und vieles mehr – sich ernsthaft über ein „Klima des Hasses“ beschwert, wirkt skurril. Die Schwäche der AfD Oldenburg dürfte vielmehr mit der aktiven antifaschistischen Gegenwehr gegen die bisher eher kläglichen Versuche der Etablierung einer Öffentlichkeit in der Stadt zusammenhängen. Bei Wahlkampfständen stehen, wenn nicht gerade Verstärkung aus dem Berliner Landesverband angerückt ist, immer dieselbe Handvoll an Mitgliedern: Andreas Paul, Lidia Bernhardt, Jutta Ziegeldorf und manchmal als Gast Christa Zimmermann. 

Die Oldenburger AfD stellt in den beiden Wahlkreisen der Stadt keinen eigenen Direktkandidaten. Kreisvorsitzender Andreas Paul sieht die Schuld dafür allerdings nicht in den eigenen Reihen, sondern sucht sie woanders: „Die AfD wird gerade im Oldenburger Raum sehr stark angefeindet und es finden Repressalien gegen AfD-Mitglieder sowie Sympathisanten statt.“  In einem solchen „Klima des Hasses“ könnten sich Menschen öffentlich nur sehr schwer bekennen. Angeblich fürchteten potenzielle Kandidaten um Kunden, Patienten oder Mandanten, Namen nennt er nicht.

Wahlkreise 64 – Oldenburg-Land – Harm Rykena

Quelle: Pixelmatsch

Seit 2013 ist der Lehrer Harm Rykena, mit Wohnsitz in Ahlhorn, ein Mitglied in der Alternative für Deutschland. Schon mit Beginn seiner parteipolitischen Karriere hat er die Öffentlichkeit gesucht. Bereits ein Jahr nach seinem Parteieintritt ließ er sich zum Vorsitzenden des Kreisverbands Oldenburg-Land wählen. 2016 zog er in den Rat der Gemeinde Großenkneten ein und er hat dieses Mandat bis heute inne. Im Jahr 2017 kandidierte Rykena dann das erste Mal für den Landtag – sowohl als Direkt- als auch Listenkandidat. Über die Liste schaffte er letztlich den Einzug in das niedersächsische Landesparlament. Diesen persönlichen Erfolg möchte er zur kommenden Landtagswahl wiederholen und auch dieses Mal tritt er als Direktkandidat für den Wahlkreis 64 (Landkreis Oldenburg) an. Zudem konnte der 59jährige Lehrer den Listenplatz 9 beim AfD-Landesparteitag in Brettorf für sich gewinnen.

2017 machte Rykena mit rassistischen Äußerungen auf sich aufmerksam. So bewarb er sich  für die Fußballmannschaft des niedersächsischen Landtags, allerdings weigerte er sich eine Ehrenerklärung, die an den Ehrenkodex des DFB angelehnt war, abzugeben. In der Erklärung der Mannschaft hieß es „man dulde keine Diskriminierungen, Belästigungen oder Beleidigungen aufgrund von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Religion oder sexueller Orientierung und wolle Vielfalt auf und abseits des Platzes achten und fördern“. Als Begründung für seine Ablehnung sagte Rykena, Vielfalt würde oft eine Belastung darstellen. Erst in einem späteren Interview mit dem Stern führte er dies weiter aus. So sei nach seiner Auffassung der Multikulturalismus gescheitert. Als Beispiel nannte er einen nicht weiter definierten Ort in seiner Heimatgemeinde, der von „besonders hoher menschlicher Vielfalt“ geprägt sei und an dem es die meisten sozialen Probleme gäbe und wo die meisten Sozialgelder hinfließen würden. Laut Rykenas Auffassung wäre die einzige praktikable Lösung den „Zuzug von weiteren kulturfremden Menschen erst einmal zu unterbinden“. Eine ähnliche Argumentation präsentierte Rykena auch in einem späteren Interview zum Thema Mobbing an Schulen. Allerdings vermied er dieses Mal seine „Ausländer-Stopp-Strategie“ zu propagieren. Stattdessen forderte er für Lehrkräfte ein verpflichtendes schulinternes Fortbildungsprogramm, in dem vermittelt werden soll wie man Mobbing bei einer „zunehmend heterogenen Schülerschaft“ vermeiden kann. Dass er diese „Heterogenität“ rassistisch meint, liegt auf der Hand.

2018 nahm Harm Rykena an einem medial viel beachteten Trauermarsch im sächsischen Chemnitz teil. Dieser Aufmarsch gilt als erster großer öffentlicher Schulterschluss zwischen der AfD und der militanten Neonaziszene. Dazu aufgerufen hatte Björn Höcke, völkischer Hardliner und AfD-Fraktionsvorsitzender im Landtag Thüringen. Etwa 8.500 Personen folgten seinem Aufruf. Darunter bekannte Politiker der AfD wie Andreas Kalbitz (inzwischen aus der Partei ausgeschlossen), Neonazis, Hooligans, NPD-Kader, AktivistInnen der Identitären Bewegung und Anhänger der Pegida-Bewegung. Auch Stephan Ernst, der spätere Mörder von Walter Lübcke (CDU) und sein Freund und Helfer Markus Hartmann waren Teilnehmer dieser Versammlung. Das Bild des Aufmarschs war geprägt durch explizite Szenekleidung, eindeutige Tätowierungen und Hitlergrüße. Im Verlauf der Aufmarschs kam es wiederholt zu Übergriffen auf Polizei, Journalist*innen und Geflüchtete. In späteren Interviews verharmloste Rykena den Aufmarsch – er hätte dort nur „ruhige und ausgeglichene Menschen“ gesehen. Ein Hohn angesichts der Bedrohungslage durch rechte Gewalt an diesem Tag.

Auch in jüngster Vergangenheit suchte Rykena den Kontakt zu rechtsoffenen und verschwörungsideologischen Strukturen aus der Coronaleugner- und Querdenkenszene. So nahm er Beispielsweise am 07.11.2020 an einem verschwörungsideologischen Aufmarsch in Leipzig teil, der durch neonazistische Hooligans angeführt wurde und bei dem es ebenfalls zu Ausschreitungen kam. Auch im Landkreis Oldenburg, seinem Wahlkreis, nahm er an verschwörungsideologischen Versammlungen teil und verteidigte diese auch in der regionalen Presse. Dies tat er sogar auch noch, nachdem im November 2021 Antifaschist*innen und Journalist*innen von Teilnehmern eines verschwörungsideologischen Spaziergangs in Wildeshausen angegriffen wurden. Im Nachgang veröffentlichte der AfD-Kreisverband unter Harm Rykena ein Statement, in dem der Angriff verharmlost wurde.

Dass es sich hierbei keineswegs um vermeintliche Entgleisungen aus der Vergangenheit handelt, wird an einem Text deutlich, den Rykena am 16.September 2022 auf der Homepage seines AfD-Kreisverbands veröffentlichte. Hier möchte er sich den Wähler*innen vorstellen und produziert einen Rundumschlag gegen Inklusion an Schulen, gegen das Aus der Atomenergie, gegen die Sanktionen gegen Russland und natürlich gegen Geflüchtete. In diesem Zuge spricht er, wie es auch in der Neonaziszene üblich ist, von einer vermeintlichen „linken Umerziehungspädagogik“, Inklusion sei ein „linkes Leuchtturmprojekt“. Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen sollen seiner Ansicht nach in die Vorschule zurückgeschickt werden, um ein „Leistungsdefizit aller“ zu vermeiden. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch Rykenas Forderung nach dem Erhalt der Förderschulen zu sehen. Seine Sorge um Kinder mit Förderbedarf erscheint unglaubwürdig, eher scheint es ihm um Auslese und eine vermeintliche „Leistungsfähigkeit“ der Regelklassen zu gehen. Auch andere sexuelle Identitäten möchte Rykena am liebste aus der Schule fernhalten. Populistisch fordert der AfD-Politiker in seinem Text „Algebra statt LBTQ“ [sic].

Wahlkreise 65 – Delmenhorst – Jaroslaw Poljak

Quelle: PixelMatsch

In Delmenhorst tritt das bekannte AfD-Mitglied Jaroslaw Poljak an. Poljak sitzt für die AfD in Delmenhorster Stadtrat. Bereits zur Bundestagswahl 2021 trat er für die neofaschistische Partei als Direktkandidat an – erfolglos. Auch eine Kandidatur zum Oberbürgermeister Delmenhorsts 2021 endete für ihn enttäuschend.

Eine mediale Debatte entspann sich im April 2019, als bekannt wurde, dass Poljak beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tätig ist und dort über Asylanträge entscheidet. Es gab einen zivilgesellschaftlichen Aufschrei, schließlich ist nicht davon auszugehen, dass ein Mitglied einer rassistischen Partei objektiv entscheidet, Poljak blieb jedoch im Amt. 

Jaroslaw Poljak, seit 2018 Parteimitglied, ist Teil des Arbeitskreises „Juden in der AfD“, einen Zusammenschluss, der laut dem Politikwissenschaftler Gideon Botsch nur „Show“ sei. Botsch sagt, es seien „sehr wenige, ohne nennenswerte Verankerung in den jüdischen Communitys“. Die JafD haben unter anderem die Funktion, den Antisemitismus der AfD zu verharmlosen und zu leugnen. Antisemitismus werde laut Botsch pauschal den Feindgruppen der AfD zugewiesen, vor allem Migrant*innen aus dem arabisch-islamischen Raum. Deutscher Antisemitismus wird hingegen nicht thematisiert. Es geht nicht um den Schutz von Jüd*innen, sondern Hetze gegen bestehende Feindbilder. Der Zentralrat der Juden veröffentlichte dementsprechend eine viel beachtete Erklärung mit dem Titel „AfD: Keine Alternative für Juden“.

Innerhalb der Delmenhorster AfD gilt Poljak vorsichtig ausgedrückt als umstritten. So attestiert der Delmenhorster Parteifreund Stefan Kappe Poljak ein „zweifelhaftes Verhältnis zur Wahrheit“. Kappe macht ihn für einen rapiden Mitgliederschwund in der Delmenhorster Ortsgruppe verantwortlich. Ihm fehle es an „Gemeinschaftssinn“. Anfang 2020 war sogar fast der komplette Vorstand des Delmenhorster Ortsverbands zurückgetreten. Nur Jaroslaw Poljak als Vorsitzender verblieb. Als dieser sich einen Schriftführer an die Seite stellen lassen wollte, misslang dies aus formalen Gründen, der Ortsverband löste sich komplett auf. Auch Stefan Kappe trat im Zuge dessen aus der AfD aus. Kappe ist nicht der Einzige: Auch andere ehemalige Parteifreunde lassen kein gutes Haar an Poljak. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, eine offene Rechnung in einem Delmenhorster Gasthaus nicht beglichen zu haben, was auch zur Landesgeschäftsstelle der AfD nach Hannover gemeldet worden sei. Poljak bestreitet die Vorwürfe. Unbestritten scheint aber zu sein, dass es Poljak nicht geligt, die Partei auf städtischer Ebene zu einen. Im Gegenteil: Streit, Zwietracht und jede Menge schmutzige Wäsche sind das Ergebnis von Poljaks Engagement. 

Wahlkreise 66/67 – Cloppenburg-Nord / Cloppenburg – Andreas Altergott

Quelle: PixelMatsch

Bereits lange vor Beginn des Wahlkampfes machen die Kandidat*innen der AfD in den Wahlkreisen des Landkreises Cloppenburg von sich reden. Sowohl der Bewerber aus dem Wahlkreis Cloppenburg-Nord, Markus Kühter aus Bösel, als auch sein Pendant vom Wahlkreis 67 (Cloppenburg), Hans-Ulrich Böckmann aus Peheim, zogen ihre Kandidatur kurzfristig zurück und traten sogar aus der AfD aus. Auch wenn die Partei nach außen private Gründe angibt und sich ansonsten ausschweigt, liegt der Verdacht sehr nahe, dass der seit Jahren andauernde Richtungsstreit in der niedersächsischen AfD ausschlaggebend gewesen sein dürfte. Nicht umsonst wurden beide Austritte unmittelbar nach dem AfD-Landesparteitag in Brettorf vollzogen. Ein Trend, der sich übrigens auch in anderen Landkreisen zeigte.

Dass die AfD im westlichen Niedersachsen nur bedingt handlungsfähig ist, zeigt sich auch an der Tatsache, dass sie nicht in der Lage war, im Wahlkreis 67 eine*n Ersatzkandidat*in aufzutreiben. Dort wird die neofaschistische Partei niemanden aufstellen.

Für den Wahlkreis Cloppenburg-Nord hat sich noch jemand gefunden: Andreas Altergott, der laut Parteiangaben besonders „in Clopenburg in der Russlanddeutschen Bevölkerung gut vernetzt“ sei. Der 36-jährige Fahrbahnmarkierer kommt aus Großenkneten und kandidierte bereits für die AfD zur Kreistagswahl 2021. Auf direktem Wege hatte er keinen Erfolg, übernahm jedoch ein Mandat, nachdem die gewählten AfDler Patrick Scheelje und Harm Rykena ihre Sitze aus Zeitgründen abgaben.

Die antifaschistische Vernetzung aus dem Oldenburger Land „16voll“ schreibt über Andreas Altergott, dass er in sozialen Netzwerken Likes für den Hallenser Neonazi Sven Liebig sowie für die neurechte Kampagne „Ein Prozent für unser Land“ verteilte, ebenso für den AfD-Politiker Roger Beckamp, der öffentlich mit der „Identitären Bewegung“ sympathisiert. Darüber hinaus geht das Portal auf ein Facebookposting Altergotts ein, in dem er einen Focus-Artikel teilt, der über den Freispruch eines Mannes berichtet, der einen unbewaffneten Geflüchteten aus Albanien erschoss. 

Wahlkreise 68 – Vechta – Waldemar Herdt

Quelle: om-online.de

Im Wahlkreis Vechta tritt, im Gegensatz zum Nachbarlandkreis, der anfangs benannte Kandidat auch tatsächlich für die neofaschistische Partei an. Der fast 60jährige Waldemar Herdt aus Neuenkirchen-Vörden saß von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag und weist eine Nähe zum christlichen Fundamentalismus auf. So engagiert er sich in einer evangelikalen Gemeinde, in der Pfingstkirche „Lebensquelle“ in Osnabrück, und war vor seinem Eintritt in die AfD Mitglied des Bundesvorstands der „Partei Bibelttreuer Christen“. Auch in seiner aktuellen Partei lebt er seine christlich-fundamentalistischen Positionen aus. So ist er einer der Sprecher des Vereins „Christen in der AfD“. In der Bundestagsfraktion war er darüber hinaus Sprecher des Arbeitskreises „Religionspolitik“. Herdt ist außerdem in einem internationalen Netzwerk christlicher Fundamentalist*innen aktiv, das das Ziel der politischen Einflussnahme verfolgt. Was das bedeutet, liegt auf der Hand: Rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung für LGBTQIA+Identitäten,  Verbot der Selbstbestimmung über den eigenen Körper, etwa bei Schwangerschaftsabbrüchen, Ausgrenzung von Lebensweisen, die nicht dem christlich-fundamentalistischen Weg entsprechen.

Herdt wurde in Kasachstan geboren und vertritt nicht nur russlandfreundliche Positionen, er wittert gar eine „Russophobie“ in Deutschland. Auch lange vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine postete Herdt auf seiner Facebookseite Beiträge gegen die Ukraine. 2018 beschäftigte Waldemar Herdt in seinem Bundestagsbüro laut Focus den „putintreuen Aktivisten“ Heinrich Groth. Groth wurde nach Streitigkeiten 2019 von Herdt entlassen und durch den russlanddeutschen Kulturschaffenden und freien Journalisten Edgar Seibe ersetzt, der allerdings schon nach kurzer Zeit kündigte. Die Atmosphäre am Arbeitsplatz sei „unerträglich“. 

Herdt ist Mitglied im „Koordinationszentrum der Russlanddeutschen in der AfD“ und Sprecher des „Internationalen Konventes der Russlanddeutschen“. Schwerpunkte der politischen Agitation Herdts sind also Lobbyarbeit für den russischen Staat sowie christlicher Fundamentalismus. 

Darüber hinaus bedient Herdt aber auch klassische AfD-Positionen, etwa zu den Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Hier verglich der AfD-Kandidat bei einer Parteiveranstaltung in Belm (Landkreis Osnabrück) die Maskenpflicht mit dem Zwang für Jüd*innen, während des Nationalsozialismus einen Stern zu tragen. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück leitete ein Prüfverfahren ein.

Wie üblich in der AfD, hetzt auch Waldemar Herdt gegen Geflüchtete, die Schutz in Deutschland suchen. Im November 2017 brachte er mit anderen einen Antrag zur Rückkehr Geflüchteter nach Syrien in den Bundestag ein, der für öffentliche Empörung sorgte. Zwei Jahre später, im November 2019, war Herdt Teil einer Reisegruppe der AfD-Bundestagsfraktion nach Syrien, um nach eigenen Angaben ein „Lagebild“ vor Ort einzuholen. Praktisch ging es nur darum zu behaupten, dass man mit eigenen Augen gesehen habe, dass das Land sicher sei und dass syrische Geflüchtete bitte zurückkehren sollten.

Mit Waldemar Herdt kandidiert also ein christlich-fundamentalistischer Hardliner für die AfD, der mit dieser Position, genau wie mit der Russlandfreundlichkeit, dem Antifeminismus und dem Rassismus, genau auf Parteilinie liegt.

Wahlkreise 69 – Wilhelmshaven – Thorsten Moriße

Moriße in der Bildmitte Quelle: recherche-nord.com

Mit Thorsten Moriße tritt möglicherweise die schillerndste Figur im gesamten Nordwesten für die AfD zur Landtagswahl an. Dabei hat Moriße, ähnlich wie Harm Rykena aus dem Landkreis Oldenburg, die doppelte Chance, sich in den Landtag wählen zu lassen – er ist der Direktkandidat für Wilhelmshaven und wurde beim Delegiertenparteitag in Brettorf auf den Listenplatz 12 gewählt. Dies sind aber auch schon die einzigen Gemeinsamkeiten mit Harm Rykena. Während sich der Kandidat aus dem Landkreis Oldenburg um ein halbwegs seriöses Auftreten bemüht, glänzt Thorsten Moriße eher durch öffentliche Schlammschlachten mit politischen Gegner*innen, aber auch mit seinen eigenen Parteigenoss*innen. 

Bereits in der Vergangenheit ist Thorsten Moriße immer wieder durch aggressives Verhalten gegenüber dem politischen Gegner und Journalist*innen aufgefallen. So hat er Beispielsweise einen Journalisten am Rande eines AfD-Infostands im Mai 2017 in Wilhelmshaven versucht zu nötigen, dessen Bilder von der Kamera zu löschen. Während einer Ratssitzung der Stadt Wilhelmshaven im Jahr 2019 verließ die AfD-Fraktion, zu der Moriße gehört, den Plenarsaal. Auf dem Weg nach draußen bedrohte der selbstständige Handwerker noch einen Ratsherrn der Partei „die PARTEI“. In einem späteren Statement versuchte Moriße den Vorfall runterzuspielen und unterstellte den beteiligten Personen, einen Skandal konstruieren zu wollen. Eines haben beide Vorkommnisse gemeinsam – Thorsten Moriße sieht sich stets als das Opfer und versucht mit der Androhung von rechtlichen Maßnahmen sein Gegenüber einzuschüchtern.

Der Rat der Stadt Wilhelmshaven scheint für Thorsten Moriße grundsätzlich ein Austragungsort für Streitigkeiten zu sein. So haben er und seine Frau Irina nach mehreren internen Streitigkeiten die Ratsfraktion der AfD verlassen und haben als eigene Fraktion „Alternative für Wilhelmshaven“ die politische Arbeit nach ihren Vorstellungen fortgesetzt. Im Rat lieferte sich Moriße auch immer wieder Auseinandersetzungen mit seinen ehemaligen Fraktionsmitgliedern. Diese wurden dann auch gerne Mal in die sozialen Medien verlagert. 

Im Jahr 2020 bezeichnete Moriße die Mitglieder des Wilhelmshavener Stadtrats als „dreckiges Volk“. Es folgte eine Anzeige durch den Oberbürgermeister. Sowohl der er als auch der Ratsvorsitzende sahen in der Wortwahl von Moriße einen antisemitischen Sprachgebrauch.

Insgesamt scheint die Zusammenarbeit mit Thorsten Moriße für andere AfD-Mitglieder eher schwierig zu sein. Dies wurde nicht nur durch die Abspaltung von der Stadtratsfraktion sichtbar. Auch langjährige Wegbegleiter wie Frank Appeldorn, Ralf Diederich oder Mirko Danner haben sich nach andauernden Streitigkeiten von Moriße abgewandt und haben nach einem Kreisparteitag sogar den Kreisverband gewechselt. Die drei sind seitdem im KV Friesland aktiv.

Ein weiteres Thema was Moriße immer wieder unter den Nägeln brennt ist Rassismus. Allerdings sieht er keinen Rassismus, wenn es um den Umgang mit Geflüchteten in Deutschland geht. Viel mehr sind Deutsche immer wieder die Opfer von Rassismus und werden nach seiner Ansicht von Geflüchteten drangsaliert. Dabei ist er sich auch nicht zu schade, Vorfälle zu erfinden. 

Wahlkreise 70 – Friesland

Quelle: Facebook

Der Wahlkreis Friesland ist weder mit einem Landtags- noch einem Listenkandidaten präsent, trotz Verstärkung von Mitgliedern aus Wilhelmshaven. Diese sind nach, wie so oft in der AfD, internen Streitigkeiten und Machtkämpfen nach Friesland ausgewichen. Viele dieser Aktiven wirken der gewünschten seriös-bürgerlichen Außendarstellung der AfD eher entgegen. So ist dabei Frank Appeldorn, der Gründer einer „Bürgerwehr“ Ralf Diederich und Mirco Danner. Appeldorn zeigt sich beim Plakatieren für die AfD in Friesland gerne mit „Anti-Antifa“-Shirt. „Anti-Antifa“-Aktivitäten kommen – nicht immer, aber zum Teil – aus der neonazistischen Rechten und gehen mit schwersten Gewalttaten einher. So auch bei Appeldorn: 2015 saß er mit dem Neonazi Jens Malter Hillers gemeinsam im Auto, als sie mit diesem einen Fotografen damit verfolgten und angriffen.  

Wahlkreise 71 – Wesermarsch

Wie in vielen anderen Wahlkreisen hat auch der Kreisverband Wesermarsch keinen Direktkandidaten zur Landtagswahl aufstellen können. Doch beim genaueren hinschauen verhält es sich in der Wesermarsch anders. Während andere Kreisverbände sich öffentlich über ein angebliches „Klima der Angst“ beklagen und deswegen keine Kandidat*innen aufstellen, hat die AfD in der Wesermarsch eine Aufstellungsversammlung für einen Direktkandidaten durchgeführt und konnte auch einen Kandidaten wählen. Dennoch ist es schlussendlich so, dass es keinen AfD-Direktkandidaten ins Rennen schicken kann.

Im Vorfeld kam es bereits zu einer öffentlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kreisvorsitzenden der Wesermarsch, Andreas Klahn, und dem niedersächsischen Landesvorstand. Klahn, der früher mal Wahlkampfkoordinator des Landesverbands tätig war, kritisierte in einem öffentlichen Brief an den Bundesvorstand den niedersächsischen Landesvorstand und dessen Herangehensweise an den Landtagswahlkampf. Insbesondere die Landesliste, die auf dem Delegiertenparteitag in Brettorf gewählt wurde, sei nach Auffassung von Klahn nicht rechtssicher und Anfechtungen von Parteimitgliedern wären zu erwarten. Zudem wäre aus seiner Sicht zu befürchten gewesen, dass die Landeswahlleitung die Landesliste ablehnen würde. Weiterhin wurde in dem öffentlichen Schreiben eine engere Führung des Landesvorstands durch den Bundesvorstand gefordert. 

Kurz darauf wandte sich ein weiterer AfDler öffentlich an den Bundesvorstand der Partei: Steffen Siebert, Mitglied im Kreisvorstand der AfD Wesermarsch, forderte gar eine Amtsenthebung des derzeitigen Landesvorstands um den Vorsitzenden Frank Rinck. Anlass war die einstimmige Weigerung des Landesvorstands, den Direktkandidatenvorschlang aus der Wesermarsch zu unterstützen und die notwendige Unterstützungsunterschrift zu leisten. Man beabsichtige aufgrund dessen, Beschwerde beim Landesschiedsgericht einzulegen. Dieses solle feststellen, dass die Autonomie des Kreisverbands verletzt worden sei und dass der Landesvorstand satzungswidrig gehandelt habe. Es gibt also keinen AfD-Kandidaten aus der Wesermarsch, weil der Landesvorstand den Kreisverband zurückgepfiffen hat. 

Wer nun der gewählte Direktkandidat für die Wesermarsch gewesen ist, darüber kann nur spekuliert werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass die verweigerte Unterstützungsunterschrift des Landesvorstands auf die Auseinandersetzungen zwischen Kreis- und Landesvorstand zurückzuführen ist. 

Wahlkreise 72 – Ammerland

Bei der AfD im Ammerland hingegen verhält es sich so, dass dort nicht rechtzeitig eine Liste eingereicht wurde. Auch auf der Landesliste ist kein AfD-Mitglied aus dem Ammerland vertreten. Der bisherige Landtagsabgeordnete aus dem Ammerland, Jens Ahrends, hingegen ist zur LKR gewechselt. Politisch hat sich aber scheinbar wenig geändert: Seine Facebook-Seite ist voller rassistischer Postings. Antreten  zur Niedersachsenwahl tut der Ammerländer jedoch nicht noch einmal. 

Wahlkreise 83 / 84 -Leer / Leer-Borkum – Rolf-Dieter Hohmann / Max Kimpel

Für den Wahlkreis Leer und Leer-Borkum treten für die neofaschistische Partei Rolf-Dieter Hohmann im Wahlkreis Leer sowie Max Kimpel für Leer-Borkum an.

Die Kandidaten halten sich jedoch sehr bedeckt mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit. In den obligatorischen Kandidat*innen-Checks diverser Medien äußern sich beide nicht. 

Eine Frage im Portal „Abgeordnetenwatch“ ist seit dem 09.09.22 unbeantwortet (Stand: 23.09.22).

Max Kimpel, 79 Jahre alt und Rentner, der für Leer-Borkum kandidiert, sitzt seit 2021 für die AfD im Stadtrat Leer, zusammen mit Robert Mönnigmann.

Auch auf der Homepage des ostfriesischen Ablegers der Partei datiert der letzte Artikel von Anfang September und beschreibt zwei Wahlkampfstände. 

Es werben also in Leer und Leer-Borkum Personen um Wähler*innenstimmen, ohne auch nur einen Hauch an Information über sich preiszugeben. Weder über Persönliches, noch über politische Positionen. 

Wahlkreise 85 – Emden/Norden – Harald Kutscher

Quelle: Facebook

Für den Wahlkreis 85, Emden/Norden, hat es die AfD geschafft, einen Direktkandidaten aufzustellen. Mit Harald Kutscher tritt jedoch jemand an, der es offenbar trotz Kandidatur nicht für nötig hält, sich den Wähler*innen öffentlich zu präsentieren. Bei sämtlichen Formaten zur Wahl wie Frageportalen oder Interviews sucht man ihn vergebens und auch seine eigene Facebookseite nutzt der 41-Jährige nicht, um seine Positionen für die Wahl vorzustellen. Bei seinen „Gefällt mir“-Angaben fällt auf, dass er sich im Richtungsstreit, der seit längerem bundesweit in der Partei tobt, nicht klar positioniert. Ihm gefällt die Seite der AfD-Bundespolitikerin Joana Cotar, die für ein eher gemäßigtes Auftreten wirbt, ebenso wie die Seite von Andreas Kalbitz, er nachgewiesene Bezüge ins neonazistische Milieu hat.

Wahlkreise 86 – Aurich

Auch hier ist es der Partei nicht gelungen, einen Kandidaten aufzustellen. 

Wahlkreise 87 – Wittmund / Inseln – Achim Postert

Quelle: Facebook

Der Kreisverband Wittmund hat im Juli dieses Jahres seinen Vorsitzenden Achim Postert zum Direktkandidaten für die anstehende Landtagswahl gewählt. Für den ehemaligen Ratsherrn der Samtgemeinde Esens ist es nicht die erste Kandidatur für ein überregionales Parlament. Bereits im vergangenen Jahr trat Postert als Direktkandidat für die Bundestagswahl an – wie in Niedersachsen üblich ohne Erfolg. 

Auch wenn Achim Postert, der bereits 2013 in die AfD eingetreten ist, wohl eher der vermeintlich gemäßigteren Fraktion der Partei zuzuordnen ist, zeigt sich an ihm auch sehr gut, dass dieser Teil der Partei alles andere als „demokratisch“ oder „harmlos“ ist. Auch hier sind Ausgrenzung und Diskriminierung Kern der Positionierung. 

So auch bei Achim Postert:  2021 sprach er in einem Interview mit der Nordwest Zeitung davon, dass Deutschland zwar verpflichtet sei, Geflüchtete aufzunehmen wenn diese aus politischen und religiösen Gründen verfolgt werden würden, er ergänzte diesen Part seines Interviews direkt mit den Worten „und die kann man ja nicht wieder zurückschicken“. Daraus ist schon zu entnehmen, dass Postert das gerne anders handhaben würde. Etwas klarer wird seine Meinung im weiteren Verlauf des Interviews als er von einem „großen Heer“ von Geflüchteten spricht, dass aus „wirtschaftlichen Gründen“ nach Deutschland kommen würde und deshalb konsequent wieder abgeschoben werden müssten. Bei der AfD gehört es zur Strategie, Geflüchteten die Gefahren, wegen derer sie geflohen sind, abzusprechen und die Zustände in den jeweiligen Ländern, etwa Syrien oder Afghanistan, zu verharmlosen. Somit wird dann fast jeder Geflüchtete zu einem vermeintlichen „Wirtschaftsflüchtling“, weil es vor Ort ja gar nicht so schlimm sei. Die Aussage, dass Menschen, die vor Verfolgung fliehen, bleiben dürften, verkommt dadurch zu einem Feigenblatt.

In einem Beitrag auf der Website des Kreisverbands Wittmund erklärt Postert seinen Parteifreunden, dass die eigentliche Gefahr für die Gesellschaft von Links ausgehe. So wären 2018 bei einem extrem rechten angeblichen Trauermarsch in Chemnitz, bei dem geflüchtete Menschen durch die Stadt gejagt wurden, linke Provokateur*innen innerhalb des Aufmarsches gewesen. Laut Postert wäre einer dieser Provokateure in einem Video zu sehen gewesen, wie dieser einen Hitlergruß zeigt. Er impliziert auch in seinem weiteren Text, dass auch der Sturm auf den Reichstag, am Rande einer Querdenken Demonstration im Jahr 2020, inszeniert gewesen sei. Seine Vermutung stützt er darauf, dass lediglich drei Polizisten den Sturm verhindern konnten. 

Auch Postert greift, wie es viele seiner Parteifreunde in der Hochphase der Pandemie gemacht haben, den Vergleich der Corona-Schutzverordnungen, die der Bundestag 2020 beschlossen hat, mit dem Reichsermächtigungsgesetz von 1933, auf. Um diesen NS-verharmlosenden Vergleich zu untermauern, fügt er seinem Text auf der Homepage des AfD-Kreisverbands einen Auszug aus dem Reichsermächtigungsgesetz an.

Am Ende seines Textes macht er nochmal etwas AfD-typisches, er versucht die Angst potentieller Wähler*innen anzusprechen. Er malt dystopische Fantasien eines Überwachungsstaats an die Wand, und fordert auf, bei Bundestagswahl 2021 die AfD zu wählen, denn „noch kann in der Wahlkabine keiner zuschauen, wo man das Kreuzchen setzt!“.

Fazit

Zusammengefasst lassen sich unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen: Einerseits zeigt dieser Überblick, dass die Kandidat*innen keinerlei Abgrenzung in extrem Rechte Milieus vollziehen; im Gegenteil, sie sind Bestandteil eben dieser. Die bürgerliche Fassade wird kaum noch gewahrt. Andererseits gibt es eine erhebliche, freundlich ausgedrückt, Unprofessionalität und Zerstrittenheit innerhalb der Partei. Des Weiteren fällt auf: Im Nordwesten gibt es keine einzige Frau weder auf der Landesliste noch als Direktkandidatin. Auch zeigt sich, dass der Druck durch antifaschistische Gegenwehr sich auszahlt. Noch immer scheint es bei einem Teil der Partei die Scheu vor einer (kritischen) Öffentlichkeit zu geben, insbesondere weil antifaschistische Recherchen immer wieder die menschenfeindliche Ideologie der Partei, ihre Verbindungen ins neonazistische Milieu aufzeigen und skandalisieren. Unabhängig davon, ob die Partei im Oktober in den Landtag einzieht oder nicht, gilt es eben diesen Druck aufrecht zu halten.