Am Sonntag, den 30.Juni fand im „Ratskeller“ am Oldenburger Rathausmarkt die Gründung des Verbandes „Stadt Oldenburg / Ammerland“ der Partei „Alternative für Deutschland“ statt. Dazu wurden Kandidat_innen für die anstehende Bundestagswahl bestimmt. Die neu gegründete Partei, in Kurzform „AfD“ genannt, versucht durch populistische, radikal-marktwirtschaftliche und rassistische Positionen auf Stimmenfang zu gehen. Kernthema ist die Forderung nach dem Ausschluss finanzschwacher Staaten aus dem Euro. Auch der Rückzug Deutschlands aus dieser Währung dürfe „kein Tabuthema“ sein. Perspektivisch wird die Auflösung der europäischen Gemeinschaftswährung angestrebt. Dies ist die Antwort der neuen Partei auf die Wirtschaftskrise.
In Oldenburg hat ihr Wahlkampf schon begonnen. Vor allem mit Infoständen versuchen die AfD-Aktivist_innen, Menschen für sich zu begeistern.
Im folgenden Artikel möchten wir aufzeigen, was hinter den schlagwortartig vorgetragenen Forderungen der AfD steckt, wie sie sich bei anderen Themen positioniert und welche Schnittstellen zu nationalistischen und rassistischen Denkmustern existieren. Auch ein bekannter Oldenburger Publizist bietet hierfür Ansätze.
Hinweis am Eingang zur Gründungsveranstaltung der AfD im Oldenburger „Ratskeller“
Kernpunkte des Wahlprogramms
In erster Linie geht es der AfD darum, dass sogenannte „Krisenländer“ aus dem Euro ausgeschlossen werden sollen. Unterstützung soll es für sie nicht geben. Deutschland soll sich aus dem Euro zurückziehen und generell soll die Gemeinschaftswährung abgeschafft werden. Darüber hinaus heißt es im Wahlprogramm: „Wir fordern, dass die Kosten der sogenannten Rettungs-politk (Fehler im Original) nicht vom Steuerzahler getragen werden. Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger sind die Nutznießer dieser Politik. Sie müssen zuerst dafür geradestehen.“
In klassisch populistischer Manier werden hier die Probleme, die der Kapitalismus strukturell verursacht, auf „Banken, Hedge-Fonds und private Großanleger“ projiziert. Die Analyse der derzeitigen Wirtschaftskrise bleibt somit verkürzt und bewusst populistisch.
Darüber hinaus fordert die AfD, „die EU durch mehr Wettbewerb und Eigenverantwortung zu verschlanken“ . Das Schlagwort „Eigenverantwortung“ meint übersetzt, Staaten mit schwacher Wirtschaftslage keine finanziellen Hilfen zukommen zu lassen. Jeder Staat soll für sich selbst verantwortlich sein, gegenseitige Unterstützung soll es nicht geben.
Gründung des AfD-Stadtverbands „Oldenburg Stadt / Ammerland“ am 30.Juni 2013 im „Ratskeller“ in Oldenburg
Auch in der Familienpolitik schlägt die „Alternative für Deutschland“ reaktionäre Töne an. Die Familie, die in völkischer Manier als „Keimzelle der Gesellschaft“ bezeichnet wird, müsse besonders geschützt werden. Im Umkehrschluss bedeutet das für die AfD zum Beispiel die Entrechtung nicht heterosexuellen Partner_innenschaften, von Alleinerziehenden sowie die Abwertung von anderen Lebensentwürfen und -realitäten.
In der Migrationspolitik propagiert die AfD eine harte Linie und fordert eine „Neuordnung des Einwanderungsrechts“. Zwar soll die Gewährung von Asyl nicht gänzlich abgeschafft werden, sie solle jedoch nur für „ernsthaft politisch Verfolgte“ gelten. Allein die Formulierung bietet einen Nährboden für rassistische Debatten um „Asylmissbrauch“ und die oft zynische Frage, ab wann eine „ernsthafte politische Verfolgung“ vorliegt.
Darüber hinaus befürwortet die AfD ein Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild. Dieses Modell gestattet eine Einwanderung nur, wenn ein bestimmter Punktestand erreicht wird. Punkte erreichen Menschen mit hoher Bildung, großen finanziellen Mitteln und der Aussicht auf einen Job, was in den meisten Fällen praktisch die Vorlage eines bereits unterzeichneten Arbeitsvertrags bedeutet.
Es geht der AfD hierbei nicht darum, dass Leute dort wohnen können wo sie wollen. Es geht ihnen aber auch nicht darum, Menschen Schutz vor Hunger, Verfolgung oder Krieg zu gewähren. Einwanderung soll idealerweise nur erfolgen, wenn sie wirtschaftlichen Nutzen bringt. Das Zugeständnis, „ernsthaft politisch Verfolgten“ Asyl zu gewähren, ist lediglich als Alibifunktion zu werten.
Auch die Forderung nach einem Einwanderungsmodell nach kanadischem Vorbild lässt sich eher als Versuch werten, vorhandene rassistische Ressentiments in der Gesellschaft aufzugreifen, um Stimmungsmache zu betreiben. Das deutsche Einwanderungsmodell (nicht zu verwechseln mit dem Asylrecht) legt nämlich ganz ähnliche Kriterien an den Tag.
Darüber hinaus spielt die Partei mit Forderungen nach „mehr Demokratie“ oder nach „Volksabstimmungen“. Wie ernst ihnen damit ist, zeigte sich auf dem Gründungsparteitag des Bundesverbands. Hier wurde erst über das Programm abgestimmt, bevor darüber diskutiert werden durfte. Ziel war es, ein „geschlossenes Bild“ nach außen abzugeben.
Auch sonst gibt es innerhalb der AfD Debatten, die Zweifel an der demokratischen Ausrichtung der Partei aufkommen lassen. So sollen Parteisprecher Konrad Adam und der wissenschaftliche Beirat Roland Vaubel vorgeschlagen haben, das Wahlrecht für Arbeitslose und Sozialleistungsempfänger_innen einzuschränken.
Erfahrungen mit der Pressefeindlichkeit der AfD machte auch die Politikjournalistin Miriam Hollstein von der Zeitung „die Welt“. Via Twitter schrieb sie: „Hassmails nach meinem #AfD-Artikel. Wie ich es wagen könne, Partei als rechts zu diffamieren. Dafür gehöre ich in Arbeitslager.“ (Fehler im Original)
Infostand der AfD in Oldenburg
Rassismus in der AfD – Von „Einzelfällen“ und Überschneidungen
In Göttingen heißt der stellvertretende Vorsitzende und Schatzmeister des lokalen AfD-.Verbands: Lennard Rudolph. Von ihm existieren Fotos, auf denen er beim Zeigen des „Hitlergrußes“ zu sehen ist. Auch soll er bei Pöbeleien gegen eine Anti-Atom-Mahnwache sowie gegen das Göttinger „Jugendzentrum Innenstadt“ mit NS-bezogenen Äußerungen aufgefallen sein. Rudolph selbst spricht davon, dass sein Facebookprofil, das übrigens auch Verbindungen zur NPD und zum neonazistischen Liedermacher Frank Rennicke aufweist, gehackt wurde, um Fotomontagen von ihm mit dem Hitlergruß online zu stellen. Ein Einzelfall?
Ein weiterer „Einzelfall“: Wolfgang Hübner aus Frankfurt. Hübner zog als Vorsitzender der „Freien Wähler“ ins Frankfurter Stadtparlament ein und sorgte Ende 2012 für öffentliches Aufsehen, als er die NSU-Mordserie verharmloste, die von „verschiedenen Einwanderer-Lobbyisten in unverschämter Weise genutzt“ werde, „um vom Staat zusätzliche materielle und ideelle Zuwendungen zu fordern“. Teil dieses Plans seien laut Hübner ebenso die „Massenmedien“, die „die hetzerischen Transparente linksextremer Organisationen, die in der Angelegenheit längst einträglichen politischen Profit wittern, zur besten Sendezeit […] groß ins Bild“ gerückt hätten.
Diese Äußerungen führten zu einem Parteiausschlussverfahren von den „freien Wählern“. Seine neue politische Heimat heißt „Alternative für Deutschland“, die sich über einen kommunalen Mandatsträger in ihren Reihen freuen konnte. Ein weiterer Einzelfall? Weit gefehlt.
Gründung des AfD-Stadtverbands „Oldenburg Stadt / Ammerland“ am 30.Juni 2013 im „Ratskeller“ in Oldenburg
Im Entwurf für das Wahlprogramm sprachen sich Mitglieder der „Alternative für Deutschland“ gegen „eine Gängelung der öffentlichen Meinung unter dem Deckmantel der sogenannten ‚political correctness'“ aus.
Was damit unter anderem gemeint sein könnte, zeigt folgendes Zitat aus dem Wiki der „Wahlalternative 2013“, der Vorgängerstruktur der AfD:
„Eine Gefahr entsteht nur dann, wenn fremde Völker mit ihren Kulturen in unser Land kommen und wir gleichzeitig immer weniger werden.” Sarrazin warnt vor einer neuen Massenzuwanderung durch ‚Fachkräfte‘, denn die würde langfristig die gleichen unlösbaren Probleme in unser Land bringen wie die Massenzuwanderung aus der Türkei im vorigen Jahrhundert. […] Dieses Thema brennt den Leuten – wie man seit dem Verkaufserfolg von ‚Deutschland schafft sich ab‘ weiß – massivst unter den Nägeln. Keine Partei jedoch nimmt sich dieser Problematik aufrichtig an.”
In diesem Zitat wird also sämtliche Migration nach Deutschland, egal ob sie als „wirtschaftlich nützlich“ oder nicht angesehen wird, verurteilt, aus Sorge davor, dass „fremde Kulturen“ gegenüber der „deutschen Kultur“ in Überzahl geraten könnten. Dies ist klassische Propaganda, wie sie auch von Neonazis betrieben wird. „Überfremdung“ nennen sie das.
Auch warnt die Partei mit klassischem Neonazivokabular vor einer „Multikulti-Umerziehung“.
Screenshot von der Facebookseite des Bundesverbands der AfD: „Klassische Bildung statt Multikulti-Umerziehung“
Bildquelle: publikative.org
Der Begriff „Umerziehung“ folgt ebenfalls einem neonazistischen Propagandakonzept, nach dem „die Deutschen“ seit Ende des zweiten Weltkriegs durch die Alliierten mit gezielter Desinformation beeinflusst werden sollen. Durch „Umerziehung“ sollen „den Deutschen“ dieser Logik zu Folge Nationalbewusstsein und der positive Bezug auf die „deutsche Geschichte“ genommen werden, sie sollen im Sinne der alliierten Politik beeinflusst werden. Neonazistischer Ideologie zu Folge ist auch eine multikulturelle Gesellschaft als Konzept der „Siegermächte“ zu sehen, um „die Deutschen“ auch nach dem Krieg weiter zu schwächen und eigene finanzielle Interessen durchsetzen zu können.
Mit der Verwendung dieses Begriff äußert sich die AfD nicht nur rassistisch, sie begibt sich auch in Fahrwasser nationalsozialistischer und verschwörungsideologischer Denkstrukturen.
Fast 800 Menschen markierten dieses Bild übrigens mit „Gefällt mir“. Von einem „Einzelfall“ zu sprechen, fällt schwer.
Zwar wurde der Slogan später in „Bildung statt Ideologie“ geändert, das Originalbild wurde jedoch nie gelöscht und verzeichnet inzwischen hunderte rassistische Kommentare.
„Leitkultur statt Multikulti“ – Ein weiterer „Einzelfall“ in Oldenburg?
Beim Blick auf den neuen Vorstand des AfD-Verbands „Oldenburg Stadt/ Ammerland“ fällt eine Person auf: Gerhard Vierfuß. Der 52-jährige Jurist mit Magisterabschluss in Germanistik und Philosophie ist Schriftführer im Oldenburger Verband und schreibt unter anderem für die nationalistisch-konservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (JF). Die JF sieht sich in der Tradition einer Jahrhunderte alten Nationalgeschichte, nach der die „deutsche Kultur“ identitätsstiftend sein soll. Auf diesem Weg will sie die „deutsche Identität“ regenerieren. Inhaltlicher Kern der „Jungen Freiheit“ ist also eine unkritische positive Bezugnahme auf die deutsche Nation und ihre Geschichte.
Unter dieser Prämisse schreibt auch Gerhard Vierfuß. So lässt er beispielsweise unter der Überschrift „Leitkultur statt Multikulti“ verlauten: „Die Debatte um Zuwanderung und Integration in Deutschland hat endlich begonnen“. Er bezieht sich dabei auf den niederländischen Soziologen Ruud Koopmans und schreibt:
„Integration von Zuwanderern gelingt am besten in den Ländern, die einen nur wenig ausgebauten Wohlfahrtsstaat aufweisen oder bei der Gewährung von Rechten an Zuwanderer restriktiv vorgehen. Länder mit starkem Wohlfahrtsstaat und großzügiger Vergabe von Rechten an Neuankömmlinge haben bei der Integration die geringsten Erfolge. Man kann es auch so ausdrücken: Ohne Integrationsdruck keine Integration.“
links im Bild mit rotem Hemd: Gerhard Vierfuß
Seit 2007 ist der Gerhard Vierfuß Autor für die JF. Vorrangig schreibt er in seinen JF-Artikeln über Themen der Justiz. Hier fürchtet er vor allem das Schwinden einer „nationalen Souveranität“ durch den Einfluss der EU. Beispielsweise sieht er die Kompetenz des Bundesverfassungsgerichts durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beschnitten. Auch das Thema „Jugendgewalt“ greift Vierfuß in populistischer Manier auf. Hier fordert er ein stärkeres Durchgreifen des Staates durch härtere Gesetze und mehr geschlossene Jugendheime. Es geht ihm also, ähnlich wie der AfD in der europäischen Krisenpolitik, nicht um eine grundlegende, inklusive Problemlösung, sondern um Ausschluss von „Schwachen“ bzw. „Abweichler_innen“ von einer konstruierten Norm.
Auch rassistische Ressentiments gegen den Islam bedient Vierfuß, indem er ihn als „größte Gefahr für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland“ bezeichnet.
Vierfuß konstruiert dabei eine angeblich vorhandene „deutsche Leitkultur“, die gegenüber dem in Deutschland einfallenden „Fremden“ verteidigt werden müsse. Dies kann der Islam sein, aber auch die EU, die die deutsche Souveränität bedroht. Dieser Abwehrkampf müsse Vierfuß zu Folge mit voller Härte durch die deutschen Institutionen geführt werden. Diese Idealisierung und vermeintlich notwendige Verteidigung einer „deutschen Nation“ mit ihrer „Leitkultur“ sowie populistische Law-and-Order-Positionen bieten den Nährboden für neonazistische Denkmuster. Hier ist deutliche, inhaltliche Kritik notwendig.
Fazit
Neben der NPD haben wir es mit der AfD also mit einer weiteren Partei zu tun, die rassistische und sozialdarwinistische Positionen (re)produziert. Auch wenn die AfD im Gegensatz zur NPD nicht als Partei angesehen werden kann, die sich am historischen Nationalsozialismus orientiert, verdient die AfD mit ihren marktradikalen, neoliberalen und unsolidarischen Positionen eine kritische Auseinandersetzung während des Wahlkampfs und darüber hinaus.
Ergänzend gibt es hier es eine Analyse der Entstehung der „AfD“ aus politökonomischer Sicht:
http://www.exit-online.org/textanz1.php?tabelle=aktuelles&index=6&posnr=584